Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

René Gabriel: «Genuss ist keine Budgetfrage»

René Gabriel: «Genuss ist keine Budgetfrage»

Fotos: Jörg Wilczek

 

«Genuss ist eine positive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und/oder geistigem Wohlbehagen verbunden ist». So definiert die stets hilfreiche Online-Enzyklopädie WIKIPEDIA den Oberbegriff. Mindestens ein Sinnesorgan soll dabei im Spiel sein…

Nun denn – ich gehe da schon noch ein paar Schritte weiter. Für mich ist Genuss die intensivste Form der körperlichen Wahrnehmung. Der allerersten Slogan den man sieht, wenn man meine Webseite anklickt: «Genuss ist die Erfüllung einer Vision». Diese Vision wiederum korreliert mit einer nicht übertriebenen Erwartungshaltung. Das ist sehr, sehr wichtig, sonst ist der Frust schon vorprogrammiert. Wir leben leider heute in einer Welt der Erwartungsinflationen…

 

Blick in René Gabriels Privatkeller.

 

Einer der billigsten Genüsse ist möglicherweise ein wunderschöner Sonnenuntergang. Er kostet rein gar nix. Aber man muss ihn halt sehen! Und man muss ihn aushalten! Und dabei nicht an tausend andere Dinge denken. Je länger man das schafft, desto intensiver wird dieser Gratis-Sonnenuntergang-Genuss.

Ich begegne immer wieder irgendwelchen Deppen, welche mir ganz stolz berichten, dass sie eine Obergrenze beim Weinkauf haben. Sie würden zum Beispiel nie mehr als XX für eine Flasche ausgeben. Das mache ich auch nicht. Aber ich kumuliere dieses Budget laufend. Nehmen wir mal an, ich würde bei einer Mahlzeit maximal 100 Franken in einem Hotel pro Flasche budgetieren. Nehmen wir mal auch an, dass ich zum Frühstück keinen Wein bestellte. Und infolge einer besonders deftigen, schweinischen Mahlzeit am Mittag in der Gartenwirtschaft ein Bier anstatt Wein bestelle. Dann liegt es doch rechnerischerweise auf der Hand, dass ich zwei Mal 200 Franken für Wein nicht ausgegeben habe und am Abend beim Diner jetzt 300 Franken zur Verfügung hätte. Wer beim Genuss ans Geld denkt, der hat eh schon zuvor verloren.

 

René Gabriel auf seiner Honda Gold Wing.

 

Bei der Weinbörse (Auktionshaus bei dem ich beteiligt bin), erleben wir nicht selten kuriose Fälle. Da gibt es Kunden, welche vor ganz vielen Jahren ein paar tolle Bouteillen erwarben. Die sind dann im Markt immer teurer geworden. Will heissen; Mouton, Grange, Pétrus, Chambertin & Co. haben über die Jahre still und leise an Wert zugenommen. Jetzt verkaufen diese Ex-Weinleidenschaftler diese genialen Flaschen mit der Begründung, dass sie nie im Leben einen so teuren Wein trinken würden. Dies, obwohl diese ja letztendlich gar nicht viel dafür bezahlten. Auch eine Art von Sparen am Wein (… und an sich selbst!).

Geht es um die Verbindung von Wein und Speisen, habe ich dann schon eine Budgetvorstellung. Vielleicht könnte man dies eher als «Budgetmix» deklarieren. Wenn ich zu einem Spitzenkoch pilgere, dann wähle ich oft eine etwas einfachere Weinauswahl um mich auf die Speisen zu konzentrieren. Da will ich dann auch nicht so viele Weine wie Gänge. Das ist mir zu anstrengend. Andererseits lege ich mir zu Hause auch mal ein Roastbeef oder einen kalten Braten auf den Teller, wenn ich eine ganz tolle Flasche entkorke. Da kann ich mich voll und ganz auf den Wein konzentrieren. Das Essen wird dabei nicht kalt. Also kreiere ich damit einen völlig stressfreien, längstmöglichen Genuss.

Gitarre aus Weinkisten – gesichtet in René Gabriels Keller.

Gitarre aus Weinkisten – gesichtet in René Gabriels Keller.

Aus meiner Kindheit habe ich immer wieder das Bild von meinem Vater vor mir. Es sass am Küchentisch mit einer Cervalat. Vor sich ein grosses Stück Greyerzerkäse von welchem er immer wieder kleine Stücke abschnitt. Dazu ass er chüschtig-gebackenes Schwarzbrot und trank dazu Beckenrieder Apfelmost. So war er glücklich. Und – ich mache es ihm heute nach. Es ist ein Stück gelernter, helvetischer Genusskultur. Grossartig und erschwinglich zugleich.

René Gabriel (* 1957) ist einer der bekanntesten Weinkritiker und -Autoren der Schweiz und des gesamten deutschsprachigen Raumes. Von 1990 bis 2005 war er Chef-Einkäufer von Mövenpick. Ab 1992 gab er den monatlichen Infoletter Weinwisser heraus. Er ist der Erfinder des zum Schöner Saufen gut geeigneten Gabriel Glases. Mehr über René Gabriel: www.weingabriel.ch

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