Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

Domaine Beudon: Dem Himmel so nah

Domaine Beudon: Dem Himmel so nah

Fotos: Jörg Wilczek

Fotos: Jörg Wilczek

Als Jacques Granges damals, vor etwa zehn Jahren, in seiner Küche sitzt, herrscht kurz Stille. Die Suppe, gekocht von seiner Frau Marion, dampft vor sich hin, und der Winzer wirkt so gefasst wie immer, lächelt verschmitzt in sich hinein. Besser gesagt in seinen langen, buschigen Bart, der sein Gesicht so einzigartig machte. Im Moment zuvor hatte er uns von dem Burnout erzählt, der ihn vor nicht allzu langer Zeit in die Knie zwang. Etwas, das niemand gerne vor seinen Mitmenschen ausbreitet und gegen das ein so gelassen wirkender Mensch wie Granges eigentlich hätte immun sein müssen. Dennoch traf es ihn. Für Granges schien dieser temporäre Zustand jedoch nichts weiter gewesen zu sein als ein Kurztrip. Ein etwas unangenehmer zwar, aber einer, der am Ende gut ausgeht. Wer dem Leben so gegenübersteht, muss ein Kämpfer sein, nicht wahr? Oder jemand, der verdrängt, ein Träumer. Jacques Granges war Rebell und Visionär zugleich. Als er im Sommer 2016 mit 69 Jahren bei einem tragischen Unfall im Rebberg starb, ging ein Mensch von uns, der die Weinwelt wie kaum ein anderer in Frage gestellt und auf seine eigene Weise geprägt hat.

 
 

Landwirt und Forscher

Granges schloss im Jahr 1968, mit 21 Jahren, sein Studium der Landwirtschaft an der weltbekannten Zürcher Eliteuni ETH ab. Dass er Landwirtschaft studierte, war für ihn ganz selbstverständlich, denn als Jacques, auf Deutsch Köbi, sei er sozusagen schon von Geburt an Landwirt, erzählt er uns, als wir ihn kurz vor seinem Tod auf der Domaine Beudon besuchen. Er war in seiner Zeit an der ETH der jüngste Ingenieur der Agronomie in der Schweiz. Von Beginn an galt sein Interesse dem Pflanzenschutz und er suchte schon sehr früh nach alternativen Methoden, interessierte sich für die aufkommende Integrierte Produktion, für alles, was nachhaltig war. Damals noch nicht im Wein-, sondern im Obstbau. Sein Forschungsobjekt war der Apfelwickler, der auch Aprikosenbäume befällt. Wer einmal in der Schweiz war, weiss, dass die Aprikose unmittelbar mit Granges’ Heimat, dem Wallis, verknüpft ist.

 
 

Seine Diplomarbeit beschäftigte sich mit der Bekämpfung des Apfelwicklers durch die Bestrahlung mit Cobalt 60. Allein die Beschreibung seiner Feldversuche las sich wie “Zurück in die Zukunft” oder aus der Feder von Leonardo da Vinci, erzählt uns Granges. Seine Versuche waren erfolgreich und der junge Forscher wurde in die USA eingeladen, unter anderem nach Houston, Texas, wo er “vor lauter Krawattenleuten” über Methodik und Ergebnisse sprach. Während er selbst nur drei Monate geforscht hatte, mühten sich die Texaner bereits seit Jahren ab. Mit seinen Versuchen hatte er eben immer Glück, war seine eigene Erklärung für den Erfolg.

Präsident der “Commune Beudon”

Nur wenige Jahre später, im Jahr 1971, wechselte Granges zum Weinbau, zurück zu seinen Wurzeln sozusagen: Granges’ Vater war Weinbauer und hatte eine Rebschule im Wallis, in der Jacques jeden Samstag mithalf. Jetzt aber übernahm er sein eigenes Weingut. Zu diesem Schritt gehörte Mut, denn der Weiler mit den knapp 6 Hektar Rebbergen hoch über Fully galt im Tal nicht unbedingt als der beste Standort, um Wein zu produzieren. Zumindest verbreitete das der Postbote, der nach seinen Touren zum Weiler, die mindestens eine Stunde Fussmarsch bedeuteten, des Öfteren mal “ein Glas Essig” zur Stärkung bekam. Was übrigens nicht am Terroir, sondern an den önologischen Fähigkeiten der damaligen Besitzer lag. Mit Jacques Granges änderte sich der Ruf des Gutes.

 
 

Seine Domaine im Wallis erklärte er kurzerhand zur “Commune Beudon” - einer imaginären Gemeinde, in der alles nach den Vorstellungen des Mannes mit der Baskenmütze vonstattenging. Sechs Hektar Rebberge, auf denen chemisch-synthetische Herbizide und Pestizide im Gegensatz zum Tal keinen Platz mehr hatten. “Roundup ist eine Schande. Ich verstehe zwar, weshalb die Leute es einsetzen, aber nicht, warum der Staat dieses Mittel nicht verbietet”, erklärt uns Granges. Da steht kein tobender Biowinzer vor uns, sondern einer, der einfach die Welt nicht mehr versteht. Vielleicht schon zu lange nicht mehr. Der Walliser Winzer war immer schon ein Querdenker. Jemand, der seine Meinung kundtat und sich damit nicht überall beliebt machte. Beim Bau der grossen Autobahn durch das Wallis beispielsweise war er einer der grössten und lautesten Gegner. Wer weiss, was er zu den Ereignissen vor wenigen Monaten gesagt hätte, als der sogenannte Weinbaukanton wegen gefährlicher, aus dem Weinbau stammender Spritzmittelrückstände im Trinkwasser in die Medien geriet.

Alles Mist?

 
 

Granges gehörte zu den ersten biologisch wirtschaftenden Winzern der Schweiz und arbeitete schon in den frühen 70er Jahren nach diesen Prinzipien. Nach einem schweren Unfall musste er zurückkrebsen, eine Zeitlang auf Integrierte Produktion umstellen. Ein Kompromiss, nichts weiter. Als er 1994 an die Loire zu Nicolas Joly reiste, arbeitete er bereits biodynamisch. Aber er war nicht ganz zufrieden. Damals sprach der legendäre australische Bio-Dyn-Berater Alex Podolinsky. Er war noch nicht ganz fertig mit seinem Vortrag, da stand schon Granges’ Frau Marion neben ihm und bat um Hilfe. Dann ging alles ganz schnell. Eine Woche später war der Australier bereits zu Besuch auf der Domaine Beudon. Eine Zerreissprobe für Granges. “Ich hatte sehr grosse Mühe, denn ich versuche immer, alles richtig zu machen, und Podolinsky behauptete, ich mache alles falsch”, erzählt er uns. Der Australier nahm die Präparate unter die Lupe: “Alles Mist”, in Australien würde Granges niemals zertifiziert werden. Wer verliert bei so harscher Kritik nicht den Mut? Granges fühlte sich unfähig, liess sich aber dennoch auf den Australier ein und setzte dessen Ratschläge um. “Nach einem Jahr war alles besser.”

Tüfteln für perfektes Traubengut

Granges’ Welt war die Domaine Beudon, die Erde und die Pflanzen. Für die Weinbereitung hatte er keine Zeit, die übernahm schon damals ein Winzerkollege unten im Tal. Dennoch hatte er auch dort klare Vorstellungen. “Ich mag Weine, die nicht hübsch gemacht sind, sich nicht schminken müssen. Ich hab gerne, wenn jemand von Natur aus strahlt”, erklärt er, als wir zusammen hinter dem Haus degustieren. Es ist heiss und die Sonne brennt, weshalb Granges mir befiehlt, einen Sonnenhut aufzusetzen.

Seiner Ansicht nach verloren Weine, die im Holzfass ausgebaut wurden, ihr Profil und waren nicht fähig, die Eigenarten ihres Standorts zu transportieren. Deshalb reiften seine Weine im Stahltank. Denn wenn ihm etwas am Herzen lag, dann war es eben der Boden, das Terroir. Er suchte zum Teil ewig und tüftelte herum, bis er den richtigen Standort für eine Rebsorte, für Kräuter oder Obstbäume fand. Genauso wie beim Entwickeln seiner eigenen Maschinen, die er bei jedem Besuch mit Stolz vorführte. Granges ging in den Details auf.

Als ich vor wenigen Tagen mit seiner Frau für diesen Artikel telefoniere, spüre ich wieder diese Gelassenheit, die Jacques ausgestrahlt hat. Und wenn ich ehrlich bin, würde ich davon gerne eine grosse Scheibe abbekommen. Sie vermisse ihren Mann, aber sie mache das Beste daraus, erzählt Marion. Auf der Domaine gebe es viel zu tun und dabei werde sie von ihren Töchtern Béatrice, Severine und Delphine unterstützt. Wenige Wochen nach Jacques’ Tod hatten sich schon die ersten Interessenten gemeldet und wollten die Domaine für viel Geld kaufen. “Das kommt überhaupt nicht in Frage. Kein Millionär wird mir dieses Weingut abkaufen, dafür habe ich nämlich nicht all diese Jahrzehnte hier oben geschuftet”, sagt Marion. Vielleicht gebe es aber bald schon einen Nachfolger. Ob ein Mensch wie Jacques Granges überhaupt einen Nachfolger haben kann? Ich weiss es nicht.

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