Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

Schöner Saufen im Libanon Teil III: Mit aller Kraft nach vorn

Schöner Saufen im Libanon Teil III: Mit aller Kraft nach vorn

Fotos: Jörg Wilczek

 

Vermutlich gab es im Libanon bereits Wein, bevor die Phönizier 3000 v. Chr. das Land besiedelten. Trotz aller Umbrüche, Irrungen und Wirrungen der Kriege spielt er bis heute eine wichtige kulturelle und wirtschaftliche Rolle. Mehr noch: Libanesische Weine werden von Jahr zu Jahr besser.

Wir gewöhnen uns an die Gepflogenheiten des hiesigen Straßenverkehrs, dessen obligatorisches Regelwerk darin zu bestehen scheint, Verkehrszeichen als Vorschläge zu betrachten und sich ansonsten, ohne viel nachzudenken, möglichst flüssig durchzuwurschteln. Anpassen ist da ein guter Rat. Der gewöhnliche libanesische Autofahrer geht bei der Verwendung von Blinker oder Fernlicht äußerst kreativ zu Werke. Dabei sind seine Signale weit öfter als emotionale Botschaften zu verstehen, als dass sie so etwas Profanes wie das Abbiegen signalisieren oder die Sicht in der Finsternis verbessern wollten. Es nimmt dann auch nicht weiter wunder, dass gewöhnlich mit einer Hand gelenkt, während mit der anderen ausgiebig die Hupe betätigt wird. Die tönt auf Libanons chronisch überlasteten Straßen in einer einmaligen kakophonischen Vielfalt, ist aber nur selten wirklich böse gemeint. Da heißt es, sich in den hiesigen Melodienreigen hineinzuhören, um später fröhlich miteinzustimmen. Auf unserer Fahrt Richtung Zahlé gelingt uns das immer besser. Kurz bevor wir einen Checkpoint durchfahren nehmen wir unsere Sonnenbrillen ab und schauen den Soldaten unaufgeregt entgegen. Das scheint uns ganz gut zu gelingen, ausweisen müssen wir uns nie.

Wertvoller Schmelztiegel aus Orient und Okzident

Als Sammelbecken diversifizierter Kulturen und Religionen ist der Libanon brisanter Brennpunkt von Orient und Okzident und zugleich sein wertvoller Schmelztiegel. Wer ihn bereist, ist immer auch auf den Spuren der Phönizier, Ägypter, Hethiter, Griechen, Perser, Römer, Araber, Kreuzritter, Türken und Franzosen. Ab dem 19. Jahrhundert nimmt Frankreich die christliche Bevölkerung Libanons immer öfter in Schutz. Französische Jesuitenmönche siedeln sich in der Folge an den Ausläufern des Libanongebirges an und bringen mit ihrer Expertise den Weinbau entscheidend voran. Sie waren es auch, die französische Rebsorten wie Cinsault, Carignan oder Cabernet Sauvignon in das Land brachten. Nach der Niederlage der Achsenmächte im ersten Weltkrieg wird das Land aus dem Osmanischen Reich herausgelöst und steht bis zu seiner Unabhängigkeit 1943 unter französischem Mandat. Der kulturelle Austausch zu dieser Zeit wirkt bis in die heutige Zeit nach. Der Libanon ist ein Französisch-Arabisch-Phönizien, in dem 18 unterschiedliche Religionsgemeinschaften meist friedlich mit- und nebeneinander leben. Wenn Burkaträgerinnen neben Frauen in High Heels und Mädchen in kurzen Röcken gleichzeitig die Straße überqueren, entstehen jedenfalls keine ernsthaften Konflikte mehr.

 
Die Weine des Châtau Khoury

Die Weine des Châtau Khoury

 

Pioniere einer Renaissance

Von einer gerade aufblühenden Weinindustrie waren nach dem Bürgerkrieg gerade einmal drei Güter übrig, die ihre Produktion mehr oder weniger gut aufrechterhalten konnten. Heute sollen es wieder rund 50 Produzenten sein. Ganz genau weiß das aber niemand zu sagen. Dass ihre Zahl stetig wächst, daran besteht indes kein Zweifel. Viele von ihnen siedeln sich in Gegenden an, wo seit den Phöniziern ohne Unterbrechung Wein angebaut wurde. Bis der Krieg die Winzer dazu zwang, ihre reifen Trauben an den Stöcken zurückzulassen. Weinberge wurden verwüstet. Ganze Landstriche verwaisten. Jetzt gewinnt eines der ältesten Kulturgetränke des Landes in jedem Jahr einen Teil seines verloren gegangenen Terrains wieder zurück. Oberhalb der Bekaa-Ebene, wo die Jesuitenmönche einst Libanons modernen Weinbau begründeten, wachsen heute wieder Reben. Die letzten Kilometer hinauf zum Château Khoury führt eine unbefestigte Schotterpiste. Raymond El Khoury arbeitete lange Zeit als Biologe in Frankreich, wo er nicht nur seine Frau Brigitte, sondern auch den Wein kennen und lieben lernte. 1995 kehrten die beiden in den Libanon zurück und rekultivierten ein kleines Stück verlassenes Bergland, das ihrer Familie gehörte. Sie wurden zu Pionieren einer Renaissance. Heute nennen sie 15 Hektar Weinberge ihr Eigen. Auf weit über 1000 Metern und mit bester Sicht auf das fruchtbare Bekaa-Tal und den Berg Hermon, der sich fast 3000 Meter über Normal Null erhebt. Pinot Gris, Riesling, Gewürztraminer oder Pinot Noir können die zweite Heimat der Familie Khoury nicht leugnen. Ihr Sohn begrüßt uns. Der junge Vater studierte Önologie in Reims, bevor er in den Libanon zurückkehrte. Er trägt abgenutzte Blue-Jeans, ein weitgeschnittenes grünes T-Shirt und Stoff-Sneakers mit deutlichen Gebrauchsspuren.

«Das Wetter kann extrem sein hier oben», sagt Jean-Paul Khourry

Um Äußerlichkeiten macht er sich offensichtlich nicht viel. Wie viel Selbstbewusstsein in ihm steckt, sieht man seiner Mimik an, die keine Anstrengung unternimmt, um Langeweile oder Spott zu kaschieren. «Sicher», sagt Jean-Paul fast wie nebenher, «unser Portfolio mag für diese Gegend ungewöhnlich sein. Dass unsere Wahl unter anderem auf elsässische Sorten und Klone fiel, hat aber nichts mit naiver Nostalgie zu tun.» Während er redet, durchschreiten wir das Weingut, in dem es vor allem an einem nicht mangelt: Platz. In einem riesigen und leeren Speisesaal zeigt er uns ein Foto mit weißer Landschaft und schneebedeckten Gebäuden. 2015 war das. Wie der Winter sie 14 Tage wegsperrte, erzählt er, und meterhohe Schneeverwehungen alle Ein- und Ausgänge regelrecht versiegelten: «Das Wetter kann extrem sein hier oben, aber in der Reifezeit sind es genau diese extremen Temperaturunterschiede, die den Pinot Gris davor bewahren, fett zu schmecken und dem Riesling eine knackige Säure belassen.» Zum Tasting werden wir auf eine Terrasse gebeten, die sich in Maßstab und Gestaltung mindestens am Speisesaal orientiert. Wie dieses Weingut im XXL-Format entstanden ist, beschreibt Jean-Paul lakonisch: «Wir gruben ein Loch und bauten ein Weingut darauf.»

 
Ehemaliger syrischer Wachturm in den Rebbergen von Château Khoury

Ehemaliger syrischer Wachturm in den Rebbergen von Château Khoury

 

Mit aller Kraft nach vorn

Khourys Weißweine schmecken erfreulich frisch und punkten mit legerer Süffigkeit. Ihre Etiketten zitieren das Elsass mit folkloristischer Landschafts- und Weinbergsmalerei, während man bei den Rotweinen um satte Farben und kräftiges Volumen bei den Darstellungen bemüht ist. Den Weinen wird das durchaus gerecht. Tannin und Extraktsüße kennen nur einen Weg: Mit aller Kraft nach vorn. Da bleiben Säure und Feinheit zuweilen etwas zurück. Der 2008er Syrah «Jeônede Perseyes» könnte glatt als Amarone durchgehen, wäre da nicht jene entscheidende Spur aromatischer Kühle, die den Wein davor bewahrt, in einer fremden Aroma-Schublade zu landen. Beim Familienfoto fehlt die Frau von Jean-Paul ohne Entschuldigung. Es entsteht vor der veritablen Kalksteinfassade des neuen palastartigen Wohngebäudes mit weitläufiger Terrasse, von deren äußerstem Rand es sich mit einem beherzten Hechtsprung in eine atemberaubende Landschaft für immer eintauchen ließe. «Es wird einige komfortable Gästezimmer geben, wenn ihr wiederkommt», sagt Jean-Paul zum Abschied und lacht etwas gelangweilt dabei. Der Pool ist schon mit Wasser gefüllt.

 
Die Domaine de Baal

Die Domaine de Baal

 

Traurige Beton-Ruinen stehen der schroffen Landschaft surreal entgegen

Nur einen Steinwurf von Château Khoury entfernt, liegt die Domaine de Baal. In der Levante war Baal eine wichtige Gottheit in der Bronzezeit, von denen zu dieser Zeit 500 verschiedene verehrt wurden. Ganz ähnlich der Göttin Demeter in der griechischen Mythologie herrschte auch Baal über Jahreszeiten und Fruchtbarkeit. Die Domaine gehört Sébastian Khoury, der sich wie sein Cousin Jean-Paul dem Wein verschrieben hat. Immer wieder entdecken wir traurige Beton-Ruinen, die der schroffen Umgebung surreal entgegenstehen. Aus hastig eingegossenen Betonwänden grüßen rostige Stahlarmierungen. Eine schiefe Betontreppe führt geschosslos ins Nichts. Wenn der Weinbau oberhalb der Stadt Zahlé heute eine Renaissance erfährt, hat die Familie Khoury einen gehörigen Anteil daran. Sie kultviert das Land, statt es zu verbauen. «Brachliegende Flächen sind hier nicht viel wert. Um den Preis in die Höhe zu treiben, errichtet man eben jene Alibi-Häuser», sagt Sébastian Khoury. Die freilich nie zu Ende gebaut werden, aber das Land gründlich verschandeln und teuer machen würden. Dass er sein Weingut Domaine und nicht Château genannt hat, erschließt uns sofort. Es ist ganz das Gegenteil von Château Khoury, wenn seine minimalistische Bauweise nahtlos in die Landschaft übergeht, fast eins mit ihr wird. Bauhaus à la Libanon. Sieben Jahre verbrachte Khoury im Bordeaux, wo er auch sein Weinwissen erwarb. «Nein, studiert habe ich das Fach nicht», sagt er, «aber ich kannte die richtigen Leute, die mir die richtigen Sachen beigebracht haben.»

»Es hat sich viel getan«, sagt Sébastien Khoury

Wenn Khourys bisweilen autodidaktische Weinkarriere auch außergewöhnlich sein mag, so ähnelt sie doch der von vielen Libanesen, die es in ihrer Heimat mit dem Wein zu etwas gebracht haben: Ihre Familien waren wohlhabend und besaßen Land. Als der Bürgerkrieg ausbrach, verließen sie ab den siebziger Jahren ihre Heimat in die Diaspora, wo sie ihren Kindern eine exzellente Ausbildung ermöglichen konnten. Über 800.000 Menschen sollen während dieser Zeit den Libanon verlassen haben. Wer es im Ausland zu etwas brachte und zudem noch seine Liebe für den Wein entdeckte, kehrte nach dem Krieg nicht selten zurück, um ein eigenes Weingut zu gründen. Khoury war erfolgreicher Geschäftsmann, als er sich sein Wein-Know-how im Bordeaux aneignete. 2006 entschloss er sich, es damit nun im Libanon zu versuchen. Weil sein Vater bereits in den neunziger Jahren eine kleine Fläche mit Reben bestockte, waren die Pflanzen zu dieser Zeit bereits in einem halbwegs seriösen Alter. 2006 wurde Khourys Jungfernjahrgang.

 
Familie Khoury

Familie Khoury

 

Erd-reich, ein Euphemismus

«Es hat sich viel getan seitdem», sagt er und zeigt auf eine Parzelle unterhalb des Weinguts. «Seht ihr die schmalen, begradigten Terrassen dort drüben, vor dem Krieg haben sie hier das Landschaftsbild geprägt.» Sie wiederaufzurichten sei aber aller Mühen wert. Und sind auch notwendig, denn das Kalkgeröll liegt hier meist haltlos auf den kargen Hängen herum. Um es abgehen zu lassen, braucht es nicht viel. Dass Reben diesen kläglichen Bedingungen trotzen, grenzt an ein Wunder. Die Bezeichnung Erd-reich ist ein Euphemismus in dieser erd-armen Gegend. Dennoch dürften Khourys Weine zu den elegantesten und aufregendsten der Nachkriegs- Winzer-Avantgarde im Libanons zählen. Sein einziger Weißwein ist eine Cuvée aus Sauvignon und Chardonnay, dem ein filigraner Holzeinfluss delikat zu Gesicht steht. Wer im Libanon frische Weißweine ohne Aufsäuerung erzeugen will, muss mit seinen Reben hoch hinaus. 1300 Meter sind es bei Khoury im Schnitt. Aber es geht auch noch höher. Wahre Meisterschaft beweist Khoury bei seiner Tête de Cuvée «Domaine de Baal», die zu großen Teilen aus Cabernet Franc und Cabernet Sauvignon besteht, ergänzt mit etwas Merlot und Syrah. Khoury lässt die Trauben bisweilen als ganze Trauben mit Stiel und Stängel vergären. Das sorge für mehr Frische und Biss, sagt er.

 
Sébastien Khoury von der Domaine de Baal

Sébastien Khoury von der Domaine de Baal

 

Der meiste Kellereibedarf muss importiert werden

Nach rund 18 Monaten Reife in zumeist gebrauchten französischen Barriques wird der Wein ohne Schönung oder Filtration abgefüllt. Eine Delikatesse, die filigrane und kraftvolle Eigenschaften köstlich sublimiert. Sein bester Wein? Der kommt sicher noch. Erst kürzlich hat er sich ein Sortierband angeschafft. Der meiste Kellereibedarf muss aus Europa importiert werden. «Die Einfuhrzölle sind enorm hoch», sagt er, das mache jede qualitätsfördernde Maßnahme enorm teuer. Ein vernünftiges Barrique französischer Provenienz koste 1500 Euro, bis es einmal im Keller stehe. Zum Vergleich: Das gleiche Fass würde in der Schweiz oder in Deutschland knapp die Hälfte kosten. Ob es da nicht sinnvoll sei, sich die eine oder andere Maschine mit anderen Winzern zu teilen, wollen wir wissen. Khoury schaut uns vergnügt an und sagt: «Das entspricht nicht der libanesischen Mentalität.» Wovon wir uns während unserer Reise überzeugen können: Beinahe jedes, auch noch so kleines Weingut besitzt seine eigene Abfüllanlage, selbst wenn die nur an wenigen Tagen im Jahr zum Einsatz gebracht werden muss. Lohnabfüller gibt es nicht. Noch nicht. Auf unserer Fahrt zurück denken wir lange und laut über ein neues Geschäftsfeld nach.

 

 

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