Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

Friedrich Becker: Wein mit Klärungsbedarf

Friedrich Becker: Wein mit Klärungsbedarf

Fotos: Jörg Wilczek

 

Nur wenige Menschen interessieren sich für «neue Musik», eine avantgardistische Strömung der Klassik. Etwa für die Arbeit des Ensembles für neue Musik Zürich. Wer sich diese Musik einfach so anhört, wird sie nicht einordnen können – nicht verstehen. Ganz sicher wird man sie ohne Erklärung nicht geniessen können, ausser man ist ein geübter Hörer von «neuer Musik». Beim Wein ist das ähnlich. Es gibt Weine, die einem Kontext bedürfen, damit man ihre wahre Grösse erkennt. Ausser man ist ein geübter Trinker solcher Tropfen, dann geht das einfacher. Solche Weine produziert das Weingut Friedrich Becker aus der deutschen Weinregion Pfalz, das sich unmittelbar an der elsässischen Grenze befindet. Weine für wenige. Entstanden ist das Familiengut Mitte der 1960er-Jahre. Fritz Becker «Senior» reiste damals als junger Mann ins Burgund – der Heimat des neuen Weins, wenn wir ihn wieder mit der Musik vergleichen wollen. Im französischen Burgund wachsen seit jeher Weine, die Ausdruck des Ortes sind und weniger der Traubensorte oder der plakativen, vordergründigen Frucht. Weine, die mit Hintergrundwissen einfach besser schmecken. Auf dieser ersten Reise ins Burgund im Jahr 1965 besuchte Fritz Becker mitunter den Rebberg Clos de Vougeot, einen der berühmtesten Weinberge der Region und vielleicht der ganzen Welt. Quasi die Wiener Staatsoper des Weins. «Damals erkannte ich, dass die dort dieselben Böden haben wie wir! Kleine Kalksteine mit Ton dazwischen – mir wurde schlagartig klar, dass mit Pinot Noir bei uns einiges möglich sein muss», sagt Becker heute. Er kaufte auf dieser Reise also kurzerhand zwei Flaschen Clos Vougeot und trank sie mit den Freunden gleich noch auf der Heimreise. Ein nachhaltig prägendes Erlebnis – insbesondere da er ja wusste, dass der Boden auf dem sie gewachsen sind dem in seiner Heimat, so ähnlich ist. Seit mehr als 50 Jahren eifert er dem Burgunder-Weinkonzept nach.

 

Fritz Becker Junior und Senior mit Weingutshund Emil.

 

Das könnte man nun falsch verstehen, nämlich so, dass Becker in der Pfalz Weine machen will, die wie die von Romanée Conti im Burgund schmecken. Dem ist natürlich nicht so. Wie die Komponisten der neuen Musik eben etwas Neues erschaffen wollen, will auch Becker nicht das Burgund kopieren, sondern den idealen Wein auf seinen Lagen keltern. Der Ort an dem ein Wein gewachsen ist, soll ungeschönt zum Ausdruck kommen – ein Anspruch, den jeder grosse Wein hat oder zumindest haben sollte. Es ist nicht der Geschmack, sondern das Konzept der Lagen, die Kompromisslosigkeit der Lese und des Ausbaus, die Beckers in ihrem Schaffen mit dem Burgund teilen und dann natürlich die Traubensorte Pinot Noir und die Beschaffenheit der Böden.

 

Grosse Vorbilder: Gute Winzer wie die Beckers kennen die grossen Weine dieser Welt. Und trinken sie auch.

 

Das grosse Vorbild in diesem Zusammenhang ist für Becker eben jene Domaine de la Romanée Conti. 1968 – auf seiner zweiten Reise ins Burgund – besuchte er das legendäre Weingut zum ersten Mal. Wenn er darüber spricht, wirkt Fritz Becker andächtig, ja gar ehrfürchtig, eine Eigenschaft, die man dem Pfälzer mit einer Vorliebe für Brisago-Zigarren nicht auf den ersten Blick ansieht. Bis heute eifert er diesem Weingut nach, der Domaine de la Romanée Conti – ein starkes Stück, gilt die Domäne doch für viele als bestes Rotweingut der Welt.

 
Die Lage Sankt Paul mit der namensgebenden Burg im Hintergrund.

Die Lage Sankt Paul mit der namensgebenden Burg im Hintergrund.

 

Eine der ersten Massnahmen, die Becker nach seiner Burgund-Erleuchtung ergriff, war die Pflanzung von Pinot-Noir-Reben auf den alten, angestammten Lagen vor dem Dorf Schweigen. Sein erster Weinberg und bis heute einer seiner besten ist der Kammerberg. Mitte der 1960er-Jahre war dieser komplett verwildert, da hier seit dem Krieg niemand mehr Wein erntete. Becker besorgte sich Pflanzmaterial aus dem Kaiserstuhl und von der Rebenforschungsanstalt im schweizerischen Wädenswil und begann den Rebberg zu rekultivieren. «Mein Vater wollte Gewürztraminer pflanzen», erzählt uns Friedrich Becker Senior. «Diese Traube erzielte damals hohe Preise in der Genossenschaft.» Beckers Vater war ein Verfechter des Genossenschaftssystems, war Vorsitzer der Genossenschaft deutsches Weintor. Dass es ihm nicht wirklich passte, dass sein Sohn nun auf Spitzenweine aus Eigenkelterung setzen wollte, erklärt sich von selbst. Fritz Becker beeindruckte das wenig.

 

1967 begann Fritz Becker die Lage Kammerberg zu rekultivieren. Der Weinberg auf elsässischem Boden gehört bis heute zu den Toplagen des Gutes.

 

Die Anfangsjahre waren hart für Friedrich Becker. Denn wie die neue Musik nur von wenigen verstanden oder gar konsumiert wird, war Anfang der 1970er-Jahre auch der Bedarf an deutschen Spitzenweinen eher gering. «Meine ersten Weine hatten 11 Promille Säure und 10 Volumenprozent Alkohol», erzählt er uns. Für alle ohne önologische Ausbildung: Diese Weine waren wirklich sauer und eher dünn, wenn man denn so will. Doch Becker schaffte, was sein Vater und auch viele Kollegen für unmöglich hielten. Er fand Kunden für seine Weine in einer Zeit, in der eigentlich ganz Deutschland nur süsse Weine trank. Es waren Akademiker, die ihm ein Freund vermittelte. «Diese wollten nur diese trockenen, terroirgetriebenen Weine trinken», ein Glück.

 
 

«Das grösste Kompliment für mich war, als sie mich eines Tages anriefen und sagten, dass sie am Vorabend je zwei Flaschen getrunken hätten und am anderen Tag ohne Kopfweh aufwachten. Bei allen anderen Weinen in dieser Zeit waren die Beschwerden am anderen Tag fast schon normal.» In dieser Zeit entstand das charakteristische Etikett der Becker-Weine. Dieses symbolisiert die Fabel vom Fuchs, der die Trauben essen will und mit seinen kurzen Beinen aber nicht rankommt. Da der Fuchs ein schlaues Tier ist, sagt er zu den anderen Tieren, er wolle die Trauben gar nicht, die seien ja viel zu sauer und stolziert erhobenen Hauptes in den Wald. Der Fuchs tut also so, als ob er die Trauben gar nicht haben möchte, weil er sie nicht haben kann. Friedrich Becker war nie der Fuchs.

 

Das Logo und Etikett des Weinguts nimmt Bezug auf die Fabel des Fuchses. Friedrich Becker war nie der Fuchs.

 

Bis heute zeichnet der «Senior» für den Weinbau auf dem Weingut verantwortlich, um den Keller kümmert sich sein Sohn mit gleichem Namen und dem logischen Zusatz «Junior». Die Rebberge werden seit jeher naturnah bewirtschaftet, die Reben sind begrünt, es wächst also Gras zwischen den Stöcken und auch im Keller werden Zusätze und andere Behandlungen mehr als zurückhaltend eingesetzt. Einerseits, weil man das im Burgund auch so macht, andererseits, weil alles andere für Beckers keinen Sinn macht. «Ich muss meinen eigenen Weg gehen», sagt der «Senior», als wir ihn darauf ansprechen, warum er keine Biozertifizierung anstrebt. Den Widerstand, den Gegenwind, scheinen Beckers irgendwie zu brauchen, um in Höchstform zu bleiben. Wiederum scheint der Vergleich mit dem zeitgenössischen, klassischen Komponisten nicht weit hergeholt. Gefällige Musik zu machen ist genauso einfach wie gefälligen Wein zu machen. Doch der Weg der Beckers ist das nicht. Akutestes Problem der letzten Jahre war die Lagenbezeichnung der Weine. Die großenLagen, die Fritz Becker «Senior» mit jungen Jahren rekultivierte liegen nämlich genau genommen auf französischem Boden, im Elsass. Der erste von ihm bepflanzte Rebberg war der Kammerberg, der heute als K.B. auf der Preisliste zu finden ist. Ein absolut feiner, filigraner Wein, der mit den derzeit im Weinmarkt angesagten Weinen so rein gar nichts zu tun hat. Ein grandioser Wein, da sind sich die Pinot-Noir-Freaks dieser Welt einig und dennoch einer, der noch besser schmeckt, wenn man seine Geschichte kennt. Ganz wie die neue Musik eben.

 

Die Top-Weine des Weinguts Friedrich Becker. Von rechts an zweiter Stelle der Kammerberg mit unkenntlich gemachtem Lagennamen.

 

Der Kammerberg ist ein alter Rebberg bei Schweigen, der einst zum Kloster Weissenburg gehörte. Weissenburg oder Wissembourg ist der Nachbarort von Schweigen und liegt im französischen Elsass. Dennoch wurde der Kammerberg aber seit jeher von den Schweigener Winzern bewirtschaftet. Sie haben zu dem Rebberg schliesslich direkten Zugang, während Weissenburg mit seiner ikonenhaften Kathedrale im Tal unterhalb liegt.

 

Das «B» auf dem Grenzstein im Rebberg steht für Bayern zu dem die Pfalz einst gehörte.

 

Während den beiden Weltkriegen waren der Ort und das Umland von den deutschen annektiert, ab 1945 gehörten Wissembourg und auch die Reblagen direkt oberhalb wieder zu Frankreich. Die Winzer von Schweigen wurden enteignet. «Nach dem Krieg hatte man andere Sorgen als diese Reben», sagt Friedrich Becker. «Und die Franzosen wollten jetzt auch nicht unbedingt deutsche Weinbauern auf ihrem Land sehen.» Erst im Jahr 1957 konnten sie die Rebberge wieder von der Stadt Weissenburg pachten und damit betreten. Weissenburg und Schweigen-Rechtenbach sind heute Nachbargemeinden, wie sie es früher einmal waren, Gemeinden mit freundschaftlichem Verhältnis und offener Grenze. Nur der Rebberg Kammerberg in Frankreich gelegen und von deutschen Winzern bewirtschaftet, kommt bis heute nicht zur Ruhe. Die Trauben nach Deutschland zu fahren und dort daraus deutschen Wein zu keltern war nie ein Problem, doch die deutsche Behörde will partout nicht, dass ein deutsches Produkt mit einer französischen Herkunftsbezeichnung versehen ist. «Der Wein ist ja deutsch, weil wir die Trauben über die Grenze bringen», sagt Fritz Beckers «Junior». «Der Kammerberg ist seit 800 Jahren nachweislich der Kammerberg.» Und sogar die Staatsanwaltschaft war vor ein paar Jahren im Weingut zugegen und stellte kurzerhand den Verkauf des Weines ein. Beckers mussten die Etiketten überkleben, um den Wein überhaupt noch verkaufen zu können. Heute ist es dem Weingut wenigstens erlaubt, den Wein aus dem Kammerberg mit den Buchstaben «K.B.» Zu kennzeichnen. Und Fritz Becker wird ganz sicher nicht ruhen, bevor er den Kammerberg auf dem Etikett wieder kennzeichnen darf.

 

Hier geht die Pfalz wirklich als Toskana durch: Das Wohnaus von Fritz Becker beim Weingut.

 
Madeira Teil I: Die ewige Jugend

Madeira Teil I: Die ewige Jugend

Schöner Saufen in Israel Teil III: Die Siedler

Schöner Saufen in Israel Teil III: Die Siedler