Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

Madeira Teil I: Die ewige Jugend

Madeira Teil I: Die ewige Jugend

Fotos: Jörg Wilczek

 

Die Landung auf der Atlantikinsel Madeira ist etwas Besonderes. Wir fliegen eine grosse Kurve über das Meer, vorbei an der Insel und der charakteristischen, teilweise auf Betonpfeilern im Wasser erbauten Landebahn, um dann aus der anderen Himmelsrichtung darauf zu landen. Die Stimmung im Flugzeug ist gelöst. «Schöni Ferie», wünscht der Captain in seiner letzten Durchsage. Recht hat er: Die meisten Menschen reisen paarweise nach Madeira und das fast immer ferienhalber. Madeira ist ein Mekka für Blumenfans, Wandervögel, Naturliebhaber und eben Paare, die nach Zweisamkeit auf einer paradiesischen Insel dürsten. Und Madeira ist die Heimat des legendären, gleichnamigen und völlig unterschätzten Weins.

 

Anflug auf den Flughafen von Funchal. In Hintergrund ist die charakteristische, auf grossen Pfeilern erbaute Landebahn zu sehen.

 

Madeira ist sowas wie ein reales Neverland – und damit ist nicht die Ranch von Michael Jackson gemeint, sondern Nimmerland, die fiktive Inselheimat Peter Pans. Während dort die Kinder niemals erwachsen werden, sind es auf Madeira die Weine, die nicht totzukriegen sind. Aus dem Jahrgang 1900 stammt der älteste auf unserer Reise verkostete Tropfen. Altersschwach war dieser in keiner Weise.

 

Juan Texeira studierte Önologie auf dem portugiesischen Festland. Für die Herstellung von Madeira-Wein nützt ihm das wenig.

 

Juan Texeira gehört zu den wichtigen Figuren im Madeira-Wein-Geschäft. Er wurde in Venezuela geboren, wohin viele Madeirenser einst auswanderten, um der Armut zu entkommen, heute sind viele wieder zurückgekehrt. Im Alter von zehn Jahren kam Texeira auf die Atlantikinsel. Mit 18 zog er schliesslich auf das portugiesische Festland, um dort Önologie zu studieren, und im Jahr 2000 wurde er Winemaker und Generaldirektor bei Justino’s, einer der grössten Kellereien für Madeira-Wein. «Am Anfang hatte ich gewisse Schwierigkeiten bei der Weinbereitung», sagt Texeira offen. «Alles, was man im Studium lernt, das man beim Wein verhindern muss, etwa Oxidation oder hohe Lagertemperaturen, muss man beim Madeira tun.»

 
Die Trauben für den Madeira-Wein wachsen allesamt auf der Insel, der grösste Teil am Nordufer in spektakulären Lagen direkt am Meer.

Die Trauben für den Madeira-Wein wachsen allesamt auf der Insel, der grösste Teil am Nordufer in spektakulären Lagen direkt am Meer.

 

Wie alle Madeira-Produzenten ist Justino’s eine reine Kellerei und kauft die benötigten Trauben von insgesamt 1800 Kleinbauern auf der Insel ein. Erst der Prozess im Keller macht einen Madeira zu dem, was er ist. Die Trauben für den Wein wachsen allesamt auf der Insel, oft in spektakulären Lagen direkt am Meer, nach der Ernte werden diese eingemaischt oder gepresst und der Saft meist spontan – also ohne Zusatz von Reinzuchthefe – vergoren. Der entstandene Wein enthält 9,5 bis 11,5 Volumenprozent Alkohol und je nach Traubensorte und Stil mehr oder weniger Restzucker. Zur Stabilisierung wird er dann aufgesprittet, also mit Reinalkohol verstärkt, genau so wie es auch beim Portwein oder Sherry gemacht wird. Erst dann geht es an die oft jahrelange Reifung in Holzfässern.

 

Madeira reift nicht in tiefen Kellern, sondern oft im Dachstock der Kellereigebäude, der Sonne und der Hitze der Insel ausgesetzt.

 

Die Vinifikation und Reifung von Madeira lernte Juan Texeira von langjährigen Mitarbeitern der Kellerei. «Aus anderen Regionen war ich mir gewohnt, dass sich die Winemaker austauschen und um Rat fragen, auf Madeira ist das nicht der Fall», sagt er schmunzelnd. Die Produktion sei nach der Aufsprittung aber glücklicherweise unproblematisch. Denn während sich seine Berufskollegen, die klassische Weine machen, eben um Dinge wie Oxidation oder falsche Lagertemperaturen sorgen müssen, ist das bei Madeira nach der Gärung kein Thema mehr, im Gegenteil. Madeira muss mit Luft und Wärme reagieren, also durchoxidieren, bevor er richtig gut ist.

 

Versiegelte Estufa beim Produzenten H.M Borges in Funchal. Mindestens drei Monate verbleibt der Wein bei 40 bis 50 Grad im Tank, dabei verändert er seinen Charakter, karamellisiert geradezu.

 

Die einfachsten Madeira-Qualitäten mit einem Durchschnittsalter ab drei Jahren, entstehen nicht allein durch eine Reifung in Holzfässern, sondern durch die Lagerung in sogenannten Estufas. Das Wörterbuch übersetzt das portugiesische Wort mit den Begriffen Gewächshaus und Brutkasten. Passend. Bei den Estufas handelt es sich um Lagertanks, die den Wein auf Temperatur halten – mindestens drei Monate bei 40 bis 50 Grad verbringt ein Madeira darin und wird dann meist in Holzfässer zur weiteren Reifung umgezogen. Für einen klassischen Önologen ein absolut undenkbares Verfahren. Nachgeahmt werden dabei Bedingungen, wie sie im Bauch von hölzernen Handelsschiffen herrschten, als diese etwa in der Karibik vor Anker lagen. Denn schon vor Jahrhunderten wurde Madeirawein exportiert und irgendwann realisierte man, dass dieser nach der langen Reise anders und besser schmeckte, die Estufas vereinfachen die Geschichte.

 

Moderne Estufas bei Barbeito: Der Wein in den Stahltanks wird durch eine dicke Ummantelung mit zirkulierendem Wasser auf Temperatur gehalten.

 

Die Estufa-Methode ist natürlich radikal und lässt einen Wein quasi karamellisieren, kein Wunder hatten diese Weine auf der Insel lange einen schlechten Ruf. Die Primärfrucht verschwindet komplett und Oxidations- und Reifenoten treten an ihren Platz. Zum Kochen reicht das allemal, denn viel Madeira-Wein wird genau dafür verkauft. Bei der Kellerei Barbeito, die 1946 eröffnet wurde und damit als junger Produzent gilt, sind neuartige Estufas in Betrieb, die den Wein nicht wie früher mittels einer Heizspirale im Wein erhitzen, sondern mithilfe von grossen Stahltanks mit einer Ummantelung in der heisses Wasser zirkuliert. Das sei schonender, das Resultat schmecke weniger verbrannt, versichert man uns. Diese neuartigen Estufas sehen wir auf unserer Reise bei verschiedenen Kellereien. Erfunden haben sie die Barbeito-Macher. Es sei nett, hätten sie das Verfahren nicht patentieren lassen, so dass es anderen Kellereien auch zur Verfügung stehe, sagt Leandro Gouveia, der uns durch Barbeito führt. Ein weiterer Beweis, dass der Austausch zwischen den Kellereien auf der Insel eher bescheiden ist.

 

Leandro Gouveia führt Besucher durch die moderne Barbeito-Kellerei. Auf Weine aus drei verschiedenen Lagerhäusern greift der Produzent beim Blending zurück.

 

Barbeito gehört augenscheinlich zu den progressiven Maideira-Produzenten, nicht nur was die Herstellung betrifft. Die Aufmachung ist modern und auch die Weine sind besonders zugänglich. Leandro Gouveia erklärt uns, dass das nicht an den modernen Estufas alleine liege, denn die würden wirklich nur bei den einfachsten Qualitäten eingesetzt, sondern am ausgeklügelten Canteiro-System der Kellerei. So bezeichnet man auf Madeira die Reifung in Holzfässern, ursprünglich auf Dachböden und heute meist in «Warehouses». Auch wenn diese nicht wie ein klassischer Keller unter der Erde liegen und damit auch nicht wirklich kühl sind, sind sie mit Weinen, die mittels Estufagem-Methode hergestellt werden, kaum zu vergleichen, Reifung und Oxidation gehen beim zweiten Verfahren weit weniger forciert vonstatten.

 

Das 2008 gebaute Lagerhaus von Barbeito mutet wie eine Kathedrale an: Das System ist ausgeklügelt, die Weine reifen je nach Standort des Fasses ganz unterschiedlich.

 

Barbeito besitzt drei verschiedene Warehouses und innerhalb dieser seien die Resultate der Reifung nicht etwa konsistent. «Wir wissen, wo ein Fass stehen muss, damit dessen Inhalt so reift, wie wir das möchten», sagt Gouveia. Das neueste Gebäude stammt aus dem Jahr 2008, ein Teil davon ist mit einer Betondecke versehen, ein anderer hat nur ein Dach aus Zink. Die Unterschiede sind gravierend: Unter dem Zinkdach wird es im Sommer so warm, dass rund drei Prozent des reifenden Weins innerhalb eines Jahres verdunsten, unter dem Betondach hingegen ist es recht kühl und die Verdunstungsrate beträgt gerade mal 1 bis 1,5 Prozent. In der warmen Umgebung reifen die Weine also schnell und haben am Ende eine höhere Zuckerkonzentration, im kühlen Bereich reifen sie langsamer und geraten eleganter und frischer.

 

Ausgedehnte Verkostung bei Barbeito.

 

Die wahre Kunst der Madeira-Macher ist der finale Blend. Die Altersangabe auf einer Flasche Madeira bezeichnet das Durchschnittsalter des Inhalts, nicht dessen genaues Alter. Nur wenn ein Jahrgang aufgedruckt ist, handelt es sich auch um einen Jahrgangswein und die sind so selten wie hervorragend. «Wir wollen grundsätzlich frische Weine machen, denn sie macht den Madeira schliesslich aus», sagt Leandro Gouveia. Frisch und lebendig, so sind Madeira-Weine wahrlich, auch noch nach hundert Jahren der Reifung. Ganz wie Peter Pan eben, der nie erwachsen wird. Doch woher kommt die Frische der Weine aus dem atlantischen Nimmerland denn überhaupt?

Diese Geschichte erzählen wir im zweiten Teil unserer Madeira-Reportage. Dieser erscheint kommende Woche.

 

Jörg Wilczek (l.) und Benjamin Herzog auf Recherche im Inland von Madeira, abgelichtet von Nadia Meroni vom Madeira Wine Institute.

 

Die Madeira-Reise von Schöner Saufen wurde finanziert und organisiert vom Madeira Wine Institute. Die Flüge steuerte die Fluggesellschaft Edelweiss bei. Diese fliegt die Inselhauptstadt Funchal von Zürich direkt und ganzjährig an.

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