Wir schreiben über das, was uns schmeckt, über den Durst, und wir werden keine Wahrheiten liefern, sondern Denkanstösse.

Madeira Teil II: Die Schatteninsel

Madeira Teil II: Die Schatteninsel

Fotos: Jörg Wilczek

 

Wein wird im Rebberg gemacht. Diese Aussage ist so abgedroschen, wie sie wahr ist. Wir fahren von der Hauptstadt Funchal nach Câmara de Lobos. Laut Reiseführern ein Fischerdorf, in Tat und Wahrheit aber ein touristischer Hotspot mit grossen Neubauten und breiten Strassen, die vor allem den Reisebussen der Kreuzfahrtschiffe dienen. Tourismus ist der wichtigste Wirtschaftszweig auf Madeira. 300 Touristenkreuzer legen jährlich in Funchal an, an gewissen Tagen im Sommer liegen gleich vier davon gleichzeitig vor Anker.

 

Die Naturpools an der Nordküste Madeiras gehören zu den must-visits vieler Touristen.

 

Unser Fahrer wählt extra die hügelige Route über die Landstrasse, denn er will uns die steilen Rebterrassen zeigen. Nirgendwo Kreuzfahrttouristen und das trotz der atemberaubenden Aussicht. Entlang der Strasse wechseln sich Reben mit Bananenpflanzungen ab. Genauer gesagt Rebblattdächern, denn die Reben auf Madeira sind meist als Pergolen erzogen. Das Blätterdach spendet Schatten – den Rebarbeitern genauso wie den herunter hängenden Trauben und vergrössert die Blattfläche, was wiederum die Photosynthese erhöht. Der Fahrer hält an einem Rebberg, wo gerade geerntet wird. Die Verständigung mit den Lesehelfern ist schwierig, auch unser Fahrer spricht kein Englisch und wir eben kein Portugiesisch. Mit eindeutigen Gesten wird uns aber klar gemacht, dass wir von den frisch geernteten Trauben in den blauen Kisten kosten sollen. Sauer sind sie – sehr sauer! So sauer, dass es uns anzusehen ist. Die Rebarbeiter lachen.

 

Traubenernte zwischen Funchal und Câmara de Lobos.

 

Mehr als als 1500 Kleinbauern widmen sich auf Madeira dem Traubenanbau. Ihre Ernte verkaufen sie an gerade mal sieben Kellereien, diese vinifizieren die Weine, bauen sie oft jahrelang aus und verkaufen sie dann in alle Welt. Von der Traubenproduktion alleine kann heute aber eigentlich niemand mehr leben. Für die Meisten ist die anstrengende Arbeit nur ein Hobby neben ihrem Brotjob. Die meisten Arbeitsstellen hängen irgendwie am Tourismus, eigentlich logisch.
Auf den blauen Kisten in die die Rebarbeiter die Ernte verladen, ist der Name «Henriques & Henriques» aufgedruckt. Der Hauptsitz der Kellerei liegt in Câmara de Lobos, unweit der Hauptstadt Funchal und genau dort fahren wir hin. Winemaker und CEO Humberto Jardim begrüsst uns mit festem Händedruck und erklärt, dass wir im Rebberg gerade die Sorte Tinta Negra gekostet haben und wir hätten recht, Madeira-Trauben seien sehr sauer, das sei extrem wichtig für den Charakter des Weins. Offenbar sieht man uns noch an wie sauer die Trauben waren. Anders als die meisten aufgespritteten Weine – Sherry, Portwein oder Vin Doux Naturel – hat Madeirawein eine wirklich prägnante Säure und damit verbundene Frische.

 
Trauben direkt über dem Meer an der Nordküste Madeiras.

Trauben direkt über dem Meer an der Nordküste Madeiras.

 

Tinta Negra ist die mit Abstand wichtigste Traubensorte auf Madeira, rund 50 Prozent der Weine entstehen auf ihrer Basis, die edelste Madeira-Rebe allerdings ist sie nicht. Mit 15 Hektar eigenem Rebland ist Henriques & Henriques heute übrigens einer der grössten Traubenproduzenten auf der Insel, deckt damit aber nur einen Bruchteil seines jährlichen Bedarfs. Auch hier ist man also auf die Ernte von unzähligen Kleinbauern angewiesen. Die grössten Anbauflächen für den Madeira-Wein befinden sich an der schroffen Nordküste der Insel, liegen also gut eine Stunde Autofahrt von Câmara de Lobos entfernt. Hier befinden sich auch die berühmten Naturpools im Meer, die jedes Jahr tausendfach als Instagram-Motiv dienen.

 

Humberto Jardim oder doch Freddy Quinn? Jardim ist Weinmacher und CEO der Madeira-Bodega Henriques & Henriques.

 

Humberto Jardim ist ein selbstbewusster, äusserst gepflegter Mann. Er wählt seine Worte mit Bedacht und scheint auf jede Frage vorbereitet zu sein. Irgendwie erinnert uns Jardim an Freddy Quinn. Sein Gesicht vor allem, aber auch irgendwie seine Rhetorik. Woher die Säure im Wein denn komme, wollen wir von ihm wissen, schliesslich liege die Insel Madeira vor Marokko, die Sonne hier sollte den Trauben genügend Reife mitgeben, die Säure also niedriger sein. Humberto Jardim lacht und baut seine Antwort bewusst in mehreren Stufen auf. Wir hätten sicher erzählt bekommen, dass das an den Böden hier liege, sagt er. Die Insel Madeira liegt auf der afrikanischen Platte und entstand durch vulkanische Aktivitäten. Daher rühren auch die Basaltböden, die reich an Magnesium und Eisen sind. «Ein Boden kann noch so sauer oder salzig sein, die Traube wird es daher noch lange nicht», sagt Jardim mit schelmischem Lachen. Er gestikuliert mit seinen Händen, in der einen hält er stets sein Smartphone. «Was ist das Wichtigste im Leben?», fragt uns Jardim unvermittelt, während wir durch den Fasskeller der Kellerei mit den grossen Glasfronten laufen.

 

Blick vom Warehouse von Henriques & Henriques aufs offene Meer – die Wolkendecke ist für Madeira ganz normal und prägt den Wein entscheidend mit.

 

Nach einer längeren Kunstpause und sichtlich amüsiert, dass wir nicht geantwortet haben, erwidert Jardim: «Es liegt an der Photosynthese, das ist doch logisch.» Natürlich, die Einlagerung des Zuckers in den Trauben wäre ohne Photosynthese undenkbar, doch damit die Trauben sauer bleiben, müsste diese gehemmt sein. «Ein Tag wie heute ist normal für uns», sagt Humberto Jardim und zeigt durch das grosse Fenster aufs offene Meer. Der Himmel ist bedeckt, die Sonne drückt nur leicht durch. «Unsere Insel ist zu klein, um Thermik entwickeln zu können, die die Feuchtigkeit des Meeres und die Wolken vertreiben würde, auch Paragliding ist hier quasi unmöglich», sagt er mit breitem Lächeln. «Die Rebstöcke und alle anderen Pflanzen auch bekommen zwar Sonne ab, aber weit weniger als das auf dem Festland der Fall ist. Deshalb sind unsere Feldfrüchte alle von einer fantastischen Frische.» Wir erinnern uns an den Vortag, als wir die Markthalle von Funchal besuchten und von den lokalen Bananen kosteten. Die schmeckten uns, weil sie weniger süss, dafür angenehm säuerlich waren. «Ja, mit den Bananen ist es genau dasselbe», erwidert Humberto Jardim auf unsere Erzählung erfreut. «Eigentlich alles ganz logisch, oder?.»

 

Auf der Insel angebaute Früchte auf dem Markt von Funchal: Im Vordergrund links Ananas-Bananen, rechts davon normale, kleine Madeira-Bananen.

 

Wir sind beeindruckt. Von Humberto Jardims Erklärungen und auch von den Weinen, darunter der unter Kennern legendäre Malmsey 1900. Ein zwar süsser aber ebenso spannungs- und frischegeladener Wein der Extraklasse. Malmsey ist der englische Begriff für die Sorte Malvasia, die die süssesten und legendärsten Madeira-Weine hervorbringt – neben den meist halbtrocken ausgebauten Sorten Boal und Verdelho sowie dem trockenen Sercial – unserem Liebling.

 

Diesen Wein werden wir so schnell nicht vergessen: Malmsey 1900 von Henriques & Henriques.

 

So interessant Madeirawein für uns als Weinnerds auch ist, so irrelevant ist seine Rolle als Trinkwein auf der Welt. Die meisten Menschen kennen Madeira höchstens vom Kochen oder Backen. Und die Kellereien liefern noch so gerne Wein als Kochzutat, Hauptsache es wird Wein verkauft. Einige Kellereien füllen einfache Qualitäten gar mit Zusatz von Salz und Gewürzen ab, um ihn so ungeniessbar und nicht länger besteuerbar zu machen. Wieder andere – wie Henriques & Henriques – setzen auf den Fassmarkt, um im Geschäft zu bleiben. Dabei werden neue Fässer vom Festland nach Madeira gebracht, dort für mindestens zwei Jahre mit Madeira befüllt, entleert und nach Schottland geschifft, um dort in den Whiskydestillerien verwendet zu werden. Besonders stolz ist Humberto Jardim auf die Zusammenarbeit mit Glenfiddich, die die Kellerei auf einem Whisky mit Madeira-Finish sogar explizit erwähnt. Ob das allerdings zu mehr Absatz beim Madeira selbst führt, ist zu bezweifeln.

 

Platz vor der Markthalle von Funchal: Touristenmagnet und Einkaufsmöglichkeit für Einheimische gleichermassen.

 

Natürlich setzen die meisten Kellereien auf Madeira heute auf den Tourismus. 1,5 Millionen Touristen jährlich besuchen die Blumeninsel, ein Drittel davon kommt per Kreuzfahrtschiff. Leuchtendstes Beispiel für den Weintourismus auf der Insel ist die Kellerei Blandy’s im Herzen der Hauptstadt Funchal. In altehrwürdigen Gebäuden wird Weintourismus gelebt. Ab 9.50 Euro lässt sich eine Tour durch die Blandy’s Wine Lodge buchen, samt Museumsbesuch und Weinverkostung. Ein Angebot, das viele Madeira-Reisende annehmen. Im grossen Shop der Kellerei sind echte Raritäten aber auch einfachere Madeira-Weine zu finden. Zurück im Heimatland findet man diese schwer und so wird viel Madeirawein auf der Insel gekauft und in den Koffern der Touristen aufs Festland gebracht. Dort jeden Tag Madeira trinken werden allerdings die wenigsten. Madeira ist nun mal auch kein Wein für jeden Tag.

Warum Madeira kein Wein für jeden Tag und auch nicht für alle Menschen ist, erzählen wir im dritten und letzten Teil unserer Madeira-Geschichte. Dieser erscheint in den nächsten Wochen.

Die Madeira-Reise von Schöner Saufen wurde finanziert und organisiert vom Madeira Wine Institute. Die Flüge steuerte die Fluggesellschaft Edelweiss bei. Diese fliegt die Inselhauptstadt Funchal von Zürich direkt und ganzjährig an.

Madeira Teil I: Die ewige Jugend

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